Das Leben im Mittelalter


Zorn

 

Holzhacken. Begebe ich mich damit in eine Männerdomäne wie beim Lesen?

 

In mir kocht´s – gewaltig. Deshalb bin ich hinter den Holzschuppen gegangen. Und dort schwinge ich mein Hackebeil und lasse es mit aller Wucht auf den Holzklotz niedersausen. Ich hole den nächsten Holzklotz, lege ihn auf den Spaltblock, hole aus mit dem Beil und krach – der Holzklotz fliegt gespalten in alle Richtungen. Das geht jetzt schon so seit fast einer Stunde.

 

Lieber Gott, bitte gib mir Deine Ruhe und Gelassenheit zurück, die mich mein Leben hier ertragen lässt. Heute ist mein Hochzeitstag, der 7. Seit 6 Jahren führe ich ein fremdbestimmtes Leben.

 

Ich drehe mich um die eigene Achse, halte meine rechte Hand wie einen Schutzschild vor meine Augen und sehe in die Ferne, suchend. Hallo wo bin ich geblieben? Wo meine Interessen? Hin und wieder lesen, sich mit neuen Ideen beschäftigen und vielleicht sogar mit Freundinnen diskutieren. Krach – das war der nächste Holzklotz.

 

Bis dass der Tod uns scheidet. Das hab ich Dir versprochen damals in unserer kleinen Dorfkirche. Dir mein lieber Emil, vor dem Priester, unserer Gemeinde, Eltern, Geschwistern als Zeugen, bevor man mir dann gegen Ende der Feierlichkeit die Haube aufsetzte und ich als Deine Gattin die Zeremonie verließ. Ich war so glücklich und fühlte mich so leicht auf den Stufen hin zum siebten Himmel. Krach – (s.o.)

 

Du warst und bist für mich noch immer der begehrenswerteste Mann im Dorf. Du kannst so einfühlsam sein. Aber dann – krach – willkommen in der Realität des Alltäglichen. Da sind rund um die Uhr die Arbeit auf unserem Bauernhof, die Felder und Ställe, der Haushalt. Deine pflegebedürftigen Eltern auf dem Altenteil. Unsere beiden Kinder, die es einmal besser haben sollen.

 

Vor lauter Pflichterfüllung sind wir beide auf der Strecke geblieben!


Nonne Habgier

 

Sie ist das zehnte Kind einer adligen Familie. Das bedeutet, dass sie ins Kloster geschickt wird. Das Leben dort ist sehr vielseitig. Zuerst ist sie für den Klostergarten dort zuständig. Sie lernt die verschiedensten Kräuter kennen. Und deren Wirkung auf die Genesung von kranken Schutzbefohlenen. Das findet sie sehr spannend. Wissbegierig lernt sie, wie die Heilkräuter wirken. Und ihr sehnlichster Wunsch ist es, auf der Krankenstation ihre Kenntnisse anzuwenden.

 

Die soziale Herkunft der Kranken ist sehr verschieden. Es ist die arme Frau des Tagelöhners. Es ist aber auch der Enkel des Lehnsherren. Auf der Krankenstation lernt sie, alle Patienten gleich zu behandeln. Egal, wie finanzkräftig der Einzelne ist. Der Gedanke und der Wille der Nonnen ist es, den Kranken nach Maßgabe der Möglichkeiten zur Genesung Hilfe zukommen zu lassen.

 

Aber da ist z.B. die Tochter des Lehnsherren. Sie bringt schöne Dekoration r die Klausur der Nonne mit. Diese ist darüber hocherfreut.

 

Bald hat es sich herumgesprochen, dass unsere Nonne käuflich ist. Denn die Tochter des Lehnsherren wird bevorzugt behandelt. Es fängt damit an, dass sie besonders leckere Mahlzeiten bekommt. Später bekommt sie als Medizin ein besonders wertvolles Kraut, dass nur für besonders schwere Krankheiten bereitgehalten wird.

 

Und unsere Nonne wird bei den Vergütungen für die Leistungen der Krankenstation immer habgieriger.


Hexe

 

Jetzt kam es doch wieder alles hoch.

 

Angeregt durch diesen infernalischen Gestank aus der Gossenrinne in der Straße…

 

Wir schreiben noch das Jahr 1530 a.D. und mein Name ist Cecilia und ich wurde in England geboren. Meine Mutter war Hausangestellte bei einem furchtbaren Grafen, der sie wie Vieh behandelte. Mein Vater er war Holländer und recht wohlhabend als Tuchhändler. Er holte uns von der großen Insel, in ein Land, in dem die Menschen – für meine Begriffe recht seltsam sprachen. Eben Holländisch.

 

Ich habe nie geschafft, diese Sprache wirklich zu lernen. Auch nicht, als wir auf diese Insel zogen, in Zeeland gelegen, auf der eigentlich nur Fischer lebten. Für sie waren und blieben wir immer die Fremden, die Exoten, die ihrerseits komisch sprachen.

 

Aber ein Wort kannte ich: Hexe. Das riefen mir die Kinder nach, und die hatten es natürlich von ihren Eltern. Also mied ich die Dorfgemeinschaft genau wie meine Mutter übrigens.

 

Wie war es dazu gekommen? Nun zunächst einmal hatte meine Mutter als ehemalige Hausdame, leidenschaftliche Köchin und Kennerin der Gewürze ein riesiges Repertoire an Wissen über Heilkräuter, Tees und Salben. Hierüber wurde der Inselarzt recht grantig viele der Frauen wandten sich eher an Mutter denn an ihn , und ich glaube, er war es, der dem Priester zutrug, da könne etwas nicht stimmen. Wir seien mit dem Teufel im Bunde.

 

Zumal ich zu allem Überfluss auch noch in die Zukunft sehen konnte. Zumindest manchmal. Und ich brauchte zu lange, um zu begreifen, dass man anderen besser nicht mitteilte, was man da so sah.

 

Nach einer furchtbaren, schlaflosen Nacht, aus der ich schweißgebadet erwachte, musste ich unsere Nachbarin Grit warnen. Mir waren Bilder erschienen, in denen ihr Mann Piet verunglückte. Sie schalt mich eine dumme Göre… Bis dann die Nachricht kam, dass das Boot ihres Mannes gekentert war. Ihn selbst fanden sie erst zwei Tage später.

 

tte man das Unglück verhindern können? Ich weiß nicht. Vielleicht. Wenn ich sofort Alarm geschlagen hätte, noch in der Nacht. Allerdings wäre das Ergebnis vermutlich dasselbe gewesen; niemand hätte auf mich gehört.

 

Danach gab es keinen Zweifel mehr wir waren Hexen. Wobei meine Mutter als Heilerin schon noch ein Ansehen genoss. Die Kranken und Ratsuchenden kamen allerdings immer im Schutze der Dunkelheit, heimlich und verstohlen.

 

Mein Vater verbrachte immer mehr Zeit in der Stadt, obwohl er die Insel so liebte. Als Händler konnte er hart sein, im Privatleben brauchte er Harmonie. Er konnte nicht mit den Verdächtigungen leben, auch wenn diese nur hinter vorgehaltener Hand ausgetauscht wurden. Auch in seiner Abwesenheit bot er uns Schutz, denn für die Dorfbewohner stellte er als reicher, gebildeter Mann eine Autoritätsperson dar.

 

Somit mied man uns. Und wir die anderen.

 

Lange Zeit hatte ich keine bösen Träume oder Bilder mehr. Niemand kam uns nahe, niemandes Leben berührte unseres oder meines.

 

Jedoch verliebte ich mich dann. Sein Name war Wim und er war groß und schlank, mit dunklen lockigen Haaren und einem ruhigen, in sich ruhenden Naturell. Er war einer der Fischer, und ich verbrachte von nun an jede Minute in jener hinteren Ende des kleinen Anlegers, in der er sein kleines Boot vertäute. Ich tat wirklich alles, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Und damit kamen auch die Bilder wieder. Jedoch waren sie diesmal schön; sie zeigten mir, dass ich Erfolg haben würde.

 

Was auch so war. Aber dann

 

Eines Nachts, wir waren noch so verliebt, hatten wir uns wieder heimlich auf seinem Boot getroffen. Zwischen den Kisten und Kübeln, die nach Fisch rochen, war es nicht gemütlich, aber wir konnten alles ausblenden.

 

Ich hielt wie so oft die Augen geschlossen. Als ich sie aber unvermittelt öffnete, sah ich nicht meinen Geliebten sondern einen Fisch. Dieser verwandelte sich in eine riesige Kröte, dann in eine Teufelsfratze. Was war das?? Und wo waren die Kübel, wo das Boot? Wo der Hafen? Nur noch Wasser war um mich. Dunkles, stinkendes, kaltes Wasser.

 

Ich schloss meine Augen und biss in meine Hand. Das hatte immer gegen diese Bilder geholfen. Anvertrauen konnte ich mich ohnehin niemanden, auch ihm nicht.

 

Als ich die Augen öffnete, war er wieder Wim und neben mir eingeschlafen.

 

In den nächsten Tagen kam ein Wind auf, der sich bis zum St. Felix-Tag Anfang November aufbaute zu einem ausgewachsenen Sturm. Immer mehr fraß dieser an der Bucht und ließ die kleinen Boote der Fischer in gefährlicher Weise tanzen. Niemand fuhr mehr hinaus. Meine Bilder wurden wahr

 

Und dann ergoss sich das kalte Nordseewasser über das ganze Dorf, über die ganze Insel

 

user wurden zerstört, Boote rissen sich los, der ganze Hafen verschwand. Und so viele Menschen starben ebenso wie ihre Tiere.

 

Die Welt war wie auf den Kopf gestellt. Recht war Unrecht und Unrecht wurde zu Recht.

 

Die Überlebenden begannen, die noch vorhandenen Häuser zu plündern und stahlen, was sie in die Finger bekamen. Und einige der Männer begannen, Frauen zu überfallen. Mir rissen sie ein Brot aus der Hand, das ich aus unserem noch halbwegs intakten Vorratsschuppen gerettet hatte. Einer der Männer stieß mich beiseite, aber der kräftigste – einer der Fischer kam zurück und grinste diabolisch. Er hatte die Züge einer riesigen Kröte…

 

Kriegst das Brot zurück, du Hexe. Aber dafür musst du was tun. Er hielt meine Arme fest.

 

Ich wusste schon. Ja ich tat es. Wir brauchten das Brot. Mit Wim war es immer schön, eine allzu verlockende Sünde. Mit der Kröte war es nur furchtbar. Er stank nach dem widerlichen Wasser, nach seinem ekligen Schweiß, nach ach, was weiß ich.

 

Ich glaube, ich habe es geschafft, ihn meine Angst und meinen Ekel nicht merken zu lassen.

 

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis der Sturm nachließ und wieder Boote vom Festland übersetzen konnten! Mein Vater holte uns von der Insel und wir zogen fort. Weit weg, ins Landesinnere. Wir ließen alles dort, was dort gewesen war. Und Wim wie so viele, war er verschwunden das Wasser dürfte ihn aufs Meer hinausgezogen haben.

 

Jetzt gehe ich allein durch die kopfsteingepflasterten Straßen, neben denen die Gossenrinne verläuft. Immer wieder kommen auch die Bilder. Die aus der Vergangenheit, und auch die aus der Zukunft. Aber ich spreche mit niemandem darüber. Ich will keine Hexe mehr sein. Ich bin nur heimatlos


Der Metzger

 

Er ist breit wie ein Schrank. Wenn ein Kind seine Hände um seine Oberarme legt, werden sich die kleinen Fingerspitzen nicht berühren können. Sein Kopf ist kahl und rund. Auf den breiten Schultern wirkt er wie eine blasse Erbse. Trübe Augen schauen auf ein 30 jähriges Leben zurück. Er nicht schlau. Das muss er auch nicht sein. Seine breiten Hände halten das Beil und zerhacken mit voller Wucht die Knochen des Tieres , das auf seiner Schlachtbank liegt. Das Tier zuckt ein letztes Mal. Das warme Blut läuft ihm über die Hände und beruhigt ihn. Er liebt den Duft.

 

Die Frau kommt in den Laden und erzählt von dem Alltag draußen, von den vier Kindern und den Sorgen. Er will davon nichts wissen und verschließt die Ohren. Die Frau soll sich kümmern, das ist ihre Aufgabe und nicht seine. Das war immer so. Auch der Vater hat schon die Messer gewetzt. Er ist nicht schlau. Das muss er auch nicht sein. Er kann rechnen wie viel Geld er für die Wurst und das Fleisch verlangen kann und lässt sich nicht betrügen. Er träumt nicht. Das Leben ist hart. Der Sommer ist heiß. Der Winter ist kalt. Er freut sich auf den Branntwein am Abend.

 

 

Feierabendfreuden

 

Ich bin fertig, fertig mit dem Tag. Ich decke das Fleisch ab und verschließe die Ladentür. Langsam schleiche ich die Holzstiege nach oben in die Kammer. Jetzt bloß kein Geräusch machen, die Dielen der Treppe knarren. Glück gehabt, die Frau hört mich nicht. Sie bringt die Kinder ins Bett und singt mit heller reiner Stimme das Wiegenlied. Ich schleiche zu dem braunen Tontopf auf dem Holzbord und nehme alle Taler heraus, die Taler für die schlechten Zeiten. Die schlechten Zeiten ist jetzt. Schnell, ohne mich umzudrehen, verlasse ich das Haus. Der eisige Novemberwind brennt mir im Gesicht.

 

Dort ist schon das Gasthaus. Ich öffne die schwere Eichentür und die stickige Wärme empfängt mich. Lärmende Menschen sitzen an langen Tischen. In der Mitte dampfen die Tröge, Suppe mit Fleisch. Ich gehe an die Theke und bestelle beim fetten Wirt einen großen Krug Branntwein. Jetzt merke ich meinen Magen, er knurrt wie ein alter Bär und zieht sich zusammen wie eine krampfige Faust. Ja, Wirt, dann gebt mir noch einen Löffel für die Suppe! Ich setze mich mit Löffel und Branntwein an einen der Tische. Die Suppe ist heiß und salzig. Ich verlange noch nach einer fetten Haxe und Brot mit Schmalz. Ich esse nicht, ich schlinge, ich kaue nicht, ich schlinge. Heiß den Rachen hinab, schön. Der Branntwein spült die Brocken runter. Mein Körper wird heiß. Die Hände, die das Beil hielten, entspannen sich.Wirt, mehr Branntwein, Branntwein für alle!“ höre ich mich rufen. Die Welt ist wie im Nebel. Neue Freunde setzen sich zu mir und grölen. Eine stinkende Frau mit großer Brust setzt sich rittlings auf meinen Schoß. Der Branntwein fließt.

 

Der eisige Novemberwind brennt mir im Gesicht, ich liege auf der Straße im Dreck, der Winter ist in meinen Körper gekrochen, mein Mantel fehlt, meine Börse ist leer. Jetzt kommen noch schlechtere Zeiten.